Viele Bürger in Nordrhein-Westfalen haben jahrelang zu hohe Abwassergebühren
gezahlt. Das hat das OVG des Landes entschieden und seine eigene Rechtsprechung geändert. Ein Urteil mit Folgen für Grundstückseigentümer und Kommunen.
Die Abwassergebühren in Nordrhein-Westfalen sind über Jahre auf Basis einer falschen Grundlage berechnet worden. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster am Dienstag in einem Musterverfahren entschieden. Für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen hat das Urteil finanzielle Folgen in Millionenhöhe (Urt. v. 17.05.2022, Az. 9 A 1019/20).
Geklagt hatte ein Grundstückseigentümer in der Stadt Oer-Erkenschwick. Er wehrte sich gegen einen Abwasserbescheid aus dem Jahr 2017 über knapp 600 Euro. Der war
rechtswidrig und um 18 Prozent zu hoch ausgefallen, wie das OVG jetzt urteilte. Direkt von dieser Entscheidung profitieren jetzt Bürger, die in der Vergangenheit Widerspruch gegen ihre Bescheide eingelegt haben.
Hausbesitzer und Mieter dürfen nach dem Urteil in den kommenden Jahren damit rechnen, dass ihre Gebührenbescheide oder Nebenkostenabrechnungen niedriger ausfallen, weil die Kommunen in Nordrhein-Westfalen die Berechnungen neu aufstellen müssen. In den städtischen Haushalten werden demnach Gebühren in Millionenhöhe fehlen.
Der 9. Senat des OVG bemängelte zwei grundlegende Kalkulationsfehler im Fall aus Oer-Erkenschwick, sieht eine Mitschuld aber auch bei der Politik. Im entsprechenden Gesetz des Landes fehle es an konkreten Vorgaben, an denen sich die Kommunen orientierten können. Laut OVG gibt es zum Beispiel in den neuen Bundesländern solche Vorgaben.
Das OVG kritisierte zum einen, dass die Stadt bei den Gebührenbescheiden die
Abschreibungen und Zinsen so berechnet habe, dass diese die tatsächlichen Kosten für die Anlage wie die Abwasserrohre am Ende überschreiten. „Die Gebühren dürfen nur erhoben werden, soweit sie zur stetigen Erfüllung der Aufgaben der Abwasserbeseitigung erforderlich sind“, betonte das OVG und bezieht sich dabei auf die NRW-Gemeindeordnung. Die
vorherige Kombination aus Abschreibung und Verzinsung widerspreche dem
Kalkulationszweck, weil sie einen doppelten Inflationsausgleich beinhalte.
Zum anderen sei der kalkulatorische Zinssatz in den Gebührenbescheiden nicht mehr gerechtfertigt. Hier ging die Stadt vom Durchschnitt der vergangenen 50 Jahre aus und setzte noch einen Aufschlag drauf. Das OVG dagegen sieht nur einen Zeitraum von zehn Jahren zur Durchschnittsberechnung als begründbar an. So kamen die Richterinnen und Richter nicht auf einen Zinssatz von 6,52 Prozent wie ihn die Stadt Oer-Erkenschwick errechnet hatte, sondern nur noch auf einen Satz von 2,42 Prozent.
Das OVG änderte mit dem Urteil seine eigene langjährige Rechtsprechung. In der Vorinstanz vor dem Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen hatte der Kläger aus Oer-Erkenschwick im Jahr 2020 noch keinen Erfolg gehabt.
Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ließ das OVG nicht zu, dagegen kann Beschwerde eingelegt werden.